Dienstag, 11. Oktober 2011

Österreich erkämpft sich ein 0-0 in Astana

Herbert Prohaska meine in seiner Rolle als ORF Analytiker völlig richtig: „Wir hätten das Spiel gewinnen, aber auch verlieren können“. Wie das mit einem Unentschieden eben so ist. Freilich kann das Ergebnis kein befriedigendes sein, ist Kasachstan auf der viel zitierten und immer noch wenig aussagekräftigen FIFA Weltrangliste irgendwo im Nirgendwo, während Österreich immerhin fast „unter ferner liefen“ platziert ist.

Die österreichische Mannschaft – wieder mit Alaba auf der rechten Seite, obwohl das gegen Aserbaidschan nicht so ganz aufgegangen ist – begann ambitioniert, laufstark, und versuchte durch schnelle Kombinationen zum gegnerischen Tor vorzuarbeiten. Der erste Torschuss, nicht lange nach dem Anstoß durch Dag, fast im Gegenzug der erste Eckstoß für die Kasachen, es begann mit einem munteren hin und her.

Nun war in den ersten 15 Minuten das Spiel schön anzusehen, auch wenn es zunehmend zerfahren wurde – mit hohem Tempo kam hohe Ungenauigkeit, und eine Ballverlustorgie stellte sich ein, die die Stürmer vorne verhungern ließ. Arnautovic, heute nicht unauffällig laufstark, holte die Bälle oft aus dem Mittelfeld, konnte sich aber auch nicht entscheidend gegen die kasachische Mauer durchsetzen. Im Endeffekt fehlte der letzte entscheidende Pass in die Spitze, um Janko gefährlich einzusetzen. Die erste Kopfballchance hatte Janko erst in der Mitte der zweiten Halbzeit.

Die Mannschaft nahm Tempo aus dem Spiel, kontrollierte es und kombinierte bedachter, vorsichtiger – trotzdem fehlte die Durchsetzungskraft nach Vorne. Im Gegenzug vermochten es die Kasachen, aus den häufigen Ballgewinnen nicht ungefährlich zu kontern, wobei in der ersten Halbzeit zwingende Torchancen allerdings ausblieben. Ekrem Dag hingegen hatte in der ersten Halbzeit gleich zwei gute Torchancen, konnte allerdings nicht erfolgreich abschließen – trotzdem war sein offensives Engagement bemerkenswert, auch wenn er in der Defensive wenig ballsicher war.

Alles in allem eine doch unterhaltsame erste Halbzeit, auch wenn es die neuesten ORF-Experten, Peter Simonischek und Michael Schottenberg das Spiel als langweilig empfanden. Schinkels hingegen behauptete, der zweite Gegner der Kasachen sei neben der österreichischen Abwehr der Ball selbst – und wurde in der zweiten Halbzeit doch eines besseren belehrt. Einzig Mählich zeichnete sich durch qualifizierte Kommentare aus.

Im Großen und Ganzen ließ die Mannschaft das Engagement der ersten Halbzeit im weiteren Spielverlauf schuldig – zwar konnte Fuchs ungefähr um die 46. Minute herum den kasachischen Torhüter durch eine Flanke direkt aufs Tor prüfen, doch das war für lange Zeit die einzige zwingende Torchance. Ivanschitz und Fuchs konnten auf der linken Seite flanken, was sie wollten – ihre Bälle fanden keine Abnehmer. Saubere und präzise Pässe auf die Stürmer fehlten, die Bälle wurden schon vorher leichtfertig vergeben, was den Kasachen bei ihrem Konterspiel sehr unterstützte. Zwischen der 50. und der 55. Minute kam es durch Arnautovic zur größten Chance bisher – ein schöner Sololauf, schönes Dribbling, doch vor dem Tor vergab er kläglich.

In weiterer Folge wurde Österreich in die Defensive gedrängt, denn bei den Kasachen kamen Pässe an, die nicht ungefährlich werden konnten. Dank Grünwald und der gut eingestellten Innenverteidigung, insbesondere Dragovic spielte stark, konnte ein Gegentor verhindert werden. Die Kasachen hatten dennoch die zwingenden Chancen, während die Österreicher die Bälle vergaben, verschenkten oder im ständigen Gewühl des kasachischen Strafraumes nie zum erfolgreichen Abschluss kamen. Ungefähr 15 Minuten vor Schluss, die größte Chance für Kasachstan, die Zentralasiaten versagten an der österreichischen Latte.

Ein unterhaltsames Unentschieden, das beinahe wie das Hinspiel geendet hätte – Janko traf in der Nachspielzeit, das Tor wurde allerdings aberkannt. Schlussendlich endet die Qualifikation nicht ganz zufriedenstellend, hatte man sich gegen die Kasachen mehr erwartet – jedoch sollte man nicht unglücklich über den Punkt sein, denn es hätte auch mit einer Blamage gegen den Tabellenletzten der Gruppe setzten können.

Marcel Koller hat sicherlich heute mehrere Notizblöcke vollschreiben können, es gibt einiges zu tun. Abhaken und arbeiten heißt nun die Devise, gegen die Ukraine beginnt wieder einmal eine neue Zeitrechnung. Nur bitte, nicht schon wieder einen kompletten Neubeginn.

Den hatten wir in den letzten Jahren doch recht häufig – Neubeginn mit der damit verbundenen Standardausrede „das Team muss noch entwickeln“. Der erste Neubeginn mit Hans Krankl, der 2002 das Team übernommen hatte, unter ihm mussten sich die neuen Spieler erst entwickeln. Mit Hickersberger wurde weiterentwickelt, mit Brückner zurückentwickelt und mit Constantini seitlich entwickelt – nun sollte die Entwicklungsphase langsam, aber sicher doch ein Ende haben.

Denn selbst die jüngsten im Team sind keine Rookies mehr – von Alaba, der bei Bayern München spielt, gemeinsam mit Spielern wie Robben, Schweinsteiger und Ribery und mittlerweile schon 14 Länderspiele absolviert hatte, kann man sich – wie man in den letzten Spielen auch gesehen hat – sehr viel erwarten. Fuchs hat bereits 44 mal das Länderspieltrikot getragen, ist 25 und auf Schalke einer der Leistungsträger – vermutlich ist er jetzt gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Arnautovic ist 22, und Spieler in dem Alter gelten normalerweise schon als gestanden, weniger als „jung“. Dieser Teamkader ist nicht schlecht, mit diesen Spielern kann man durchaus einiges erwarten – und das sollte man sich auch. Denn jetzt ist der Zeitpunkt da, wo Ergebnisse vorzuweisen sind, und man nicht mehr „Entwicklung“ als Ausrede vorlegen kann. Neun Jahre Entwicklung sind genug.

Sonntag, 9. Oktober 2011

Ende gut - 4-1.

Über weite Strecken überzeugend spielte das Team in Aserbaidschan – am Tag der multiplen Comebacks. Die auffälligste Leistung erbrachte ausgerechnet der von Constantini jahrelang geschmähte Andreas Ivanschitz, der das erste Tor selbst erzielte, und dem in den letzten Spielen umstrittenen Marc Janko bei seinem Doppelpack assistierte. Ivanschitz spielte, Janko traf, Österreich gewann auswärts, Teamchef Ruttensteiner – vier Comebacks an einem Tag. Kein unerfreulicher Tag für den ÖFB. Bei einem hohen Auswärtssieg wie diesem kann man gerne darüber hinwegsehen, dass in der ersten Hälfte - bis zum Platzverweis von Junisoglu wegen Vereitelung einer Torchance - nicht viel ging.

In der auf das Match folgende stundenlangen Diskussion auf ORF Sport + erkannte Roman Mählich folgerichtig, dass es spätestens beim Assist von Ivanschitz Constantini „aus seinem Fernsehsessel gehaut haben muss“. Überhaupt schien Roman Mählich als einer der wenigen in dieser illustren Runde noch bei Trost gewesen zu sein. Denn er als einziger äußerte sich überwiegend positiv über Marcel Kollers Verpflichtung – während Prohaska gleich einwarf, es sei nichts desto trotz besser gewesen, jemanden mit mehr Know-How über den österreichischen Fußball, mit mehr Kenntnissen über die Strukturen des ÖFB zu holen.

Darin erkenne ich einen Widerspruch. Denn um den österreichischen Fußball endlich zum Erfolg zu führen, müssen zweifellos alle bisher bestehenden Strukturen hinterfragt und verändert werden. Frage – wer schafft das besser: jemand, der in denselben seit Jahren verwickelt ist oder ein Außenstehender, mit Erfahrung in anderen Ländern und Ligen? Prohaskas Verhalten lässt vermuten, dass er den Status Quo um jeden Preis beibehalten möchte.

Frenkie Schinkels befürchtet, bei Marcel Koller handelt es sich am Ende um einen Ja-Sager, der alle Entscheidungen der Chefetage willenlos befolgt. Doch wer tendiert mehr zum Ja-sagen – ein seit Jahren im System verwickelter Mitarbeiter oder ein von außen geholter Mann, dessen Mission es ist, das Team wieder zum Erfolg zu führen? Ricardo Moniz meinte sofort, dass Schinkels in dieser Hinsicht keine Angst haben müsse.

Ivanschitz konnte sich nach dem Spiel einen Seitenhieb auf Constantini nicht verkneifen – wieso sollte er auch. Er lobte Sportdirektor und Interimsteamchef wegen seiner Arbeit, er habe in den wenigen Tagen System in die Mannschaft gebracht und viele Spieler wachgerüttelt. Auch wenn er sonst nicht viel sagen könne, weil er ja vorher nicht dabei gewesen sei. Ruttensteiner – auch er feierte ein Comeback. Bereits nach dem vorzeitigem Ende der Ära Krankl durfte er – gemeinsam mit Andreas Herzog und Franz Wohlfahrt – das Team für die letzten beiden Spiele der WM Qualifikation 2006 gegen England und Nordirland coachen. Das Team spielte damals in England, im Old Trafford in Manchester nicht schlecht, verlor knapp 0-1; gegen Nordirland gelang ein 2-0 Sieg. Ruttensteiner, ein Feuerwehrmann für Übergangszeiten, machte seine Sache nicht schlecht, ebenso wenig wie jetzt.

Aber zurück zur Diskussionsrunde im ORF. Fast drei Stunden unterhielten sich die illustren ORF – Experten: Werner Gregoritsch, der weit ausschweifende und etwas verworrene Ansprachen hielt, die immer wieder in der Aussage „in Österreich gibt es gute Trainer“ gipfelte.

Prohaska, der Werbung für Andi Ogris und Stimmung gegen Ruttensteiner machte, weil er Ogris keinen Job im ÖFB gegeben hatte – obwohl er doch die höchste Ausbildung und Trainerlizenz hat und jeder Zeit Real Madrid oder Barcelona trainieren könnte. Wenn man ihn nur ließe!

Toni Polster, der zu spät und offenbar angetrunken erschien, und nur erzählte, dass die Leute in der Kantine des SC Wiener Viktoria furchtbar enttäuscht von der Teamchefwahl sind, und er selbst die Entscheidung auch nicht nachvollziehen konnte.

Frenkie Schinkels und Ricardo Moniz schienen die meiste Zeit am Thema vorbei zu reden. Schinkels hielt einen Vortrag, dass in Österreich „Fußball nicht gespielt“ werde sondern viel zu viel Wert auf „Leichtathletik“ gelegt werde. Die körperliche Fitness sei überbewertet, wenn die Arbeit am Ball nicht ordentlich funktioniert. Interessanter Standpunkt, bei dem ich mir vorstellen würde, wie erfolgreich ein Team mit 11 Arnautovics wäre. Vermutlich cool anzusehen, aber wenig erfolgreich.

2005, als Herzog mit Ruttensteiner und Wohlfahrt für zwei Spiele Teamchef sein durfte, brachte er eine interessante Idee ein, basierend auf seinen Erfahrungen in den USA: dort besteht der Trainerstab aus einem Headcoach, einem Trainer für die Defensive und einem für die Offensive. Herzog meinte damals, dass ein ehemaliger Spieler wie Polster den aktuellen Stürmern bessere Tipps geben könne als er selbst als ehemaliger Mittelfeldspieler.

Interessante, auch logische Idee – wenn man bedenkt, dass der ehemalige Trainerstab ausschließlich aus ehemaligen Defensivspielern bestand, könnte man auch einen Zusammenhang mit der Stürmerkrise im ÖFB herstellen, allerdings wäre das zu spekulativ. Trotzdem kann man auf den zukünftigen Trainerstab von Marcel Koller gespannt sein. Und auch, welche Rolle Ruttensteiner, von vielen völlig verkannt (diese Alliteration muss man sich live geben) spielen wird – nach den letzten Ereignissen bleibt zu hoffen, dass er nicht zu sehr in der zweiten Reihe verschwindet und seine Zusammenarbeit mit Koller eine erfolgreiche sein wird.

Samstag, 8. Oktober 2011

Marcel Koller und die wilden 78er

Nichts gutes brachte der – aus sportlicher Sicht gesehen – völlig bedeutungslose Sieg von Österreich über Deutschland bei der WM 1978. Außer der Tatsache, dass das Ergebnis von 3-2 bis heute künstlich hochstilisiert wird. Dies führt zu Ermüdungserscheinungen bei Menschen, die bei dem Spiel noch nicht auf der Welt waren – ich zum Beispiel bin neun Jahre später auf die Welt gekommen und halte das öffenlich Festhalten an diesem längst verjährten Ereignis in der österreichischen Medienlandschaft für peinlich: ein Medienhype über ein Jahrhundertereignis, das keines war.

In der allgemeinen, seit 33 Jahren anhaltenden Euphorie der daran Beteiligten scheint es völlig selbstverständlich zu sein, dass diese alleine die Macht im österreichischen Fußball innehaben. Prohaska, Krankl, Hickersberger, Schachner – bei jeder Teamchefdiskussion in Österreich führen sie das große Wort oder sind selbst im Gespräch, teilweise durch selbstlose Eigeninitiative.

Als ÖFB Präsident Leo Windtner im August den damaligen Teamchef Dietmar Constantini kritisierte, er möge „mehr über den Tellerrand blicken“ und weniger „im eigenen Saft kochen“, konnte das auch als Generalkritik am gesamten ÖFB verstanden werden. Viele neue, junge, talentierte Spieler entwickeln sich, spielen bei ihren Vereinen größere oder kleinere Rollen, in der starken deutschen Bundesliga spielen so viele Österreicher wie nie zuvor, doch die Entwicklung des Nationalteams stagniert – in der EM Qualifikation bleibt wohl nur der vierte Platz. Eine Enttäuschung, wenn man bedenkt, dass die Leistung des Teams gegen Kontrahenten wie Deutschland oder Belgien nicht immer schwach waren – allerdings immer jeweils für nur ein Spiel. Auswärts in Belgien ein packendes und spannendes Spiel, Ergebnis 4-4; der österreichische Fußballfan stand vor lauter Aufgegung auf seinem Sofa. Daheim gegen Deutschland, gute Leistung, knappe Niederlage: 1-2, Doppelpack Gomez. Und das war es auch schon.

Constantini, der seine Kader nach Sympathie zusammenzustellen schien – Ivanschitz konnte in Mainz hervorragend spielen und die Netze in Überform zerschießen und wurde nicht berücksichtigt – kam nach der völlig missglückten und kurzen Ära von Karel Brückner, dessen Verpflichtung ein Armutszeugnis österreichischen Missmanagements war, als Heilsbringer, doch die heiß ersehnte positive Entwicklung des Teams blieb aus. Dabei ist das Spielermaterial das beste seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Fuchs, auf seiner Position einer der Besten der deutschen Bundesliga – dazu noch auf einer Position, die nicht jeder spielen kann, als linker Verteidiger; Alaba, eines der größten Talente, die es in Österreich je gab; Ivanschitz, der in Mainz zum Höhenflug in der Hinrunde der letzten Saison nicht gering beigetragen hatte – dieses Formhoch konnte im Team nicht ausgenützt werden, weil er gar nicht einberufen wurde; Arnautovic, das schlampige Genie, aber alles andere als unbrauchbar, wenn er einen Trainer hat, der weiß, wie man mit ihm umgeht; Prödl, der im letzten Jahr von der Verletzungsmisere bei Werder Bremen profitierte, als fast die gesamte Defensive ausfiel, und sich so einen Stammplatz erspielte; Harnik, der in Stuttgart rennt wie um sein Leben und trifft wie am Fließband. Vergessen darf man auch nicht Jimmy Hoffer, der sich zwar weder in Neapel, noch in Kaiserslautern, noch in Frankfurt durchsetzten konnte, aber mit seiner Schnelligkeit noch jeden Verteidiger in Verlegenheit bringen kann. Oder Ümit Korkmaz, der letzte Saison in Bochum zeigen konnte, was er eigentlich drauf hat – wenn man ihn spielen lässt. Diese Liste lässt sich durchaus noch weiter führen, wenn man auch routinierte Spieler berücksichtigt. Martin Stranzl zum Beispiel kam in der letzten Winterpause zu Borussia Mönchengladbach und trug durch gute Leistungen zum Klassenerhalt bei – und stopfte die löchrige Abwehr. Unter Constantini erklärte er seinen Rücktritt, ein Jammer, denn einen Spieler mit dieser Erfahrung kann dem Team immer weiterhelfen.

Constantini ist gescheitert, Windtner ließ sich Zeit, um einen Nachfolger zu nominieren – und traf eine goldrichtige Entscheidung: Marcel Koller. Ein Fachmann, ein akribischer Arbeiter, ein Taktiker, der ein Händchen für Jugendarbeit hat. Der Entdecker von Lukas Podolski, der mit Köln ab- und Bochum aufstieg und in weiterer Folge auf den sensationellen achten Platz führte, wird neuer österreichischer Teamchef. Und das rief die sogenannte 78er Generation auf den Plan, indem sie Koller medienwirksam in der Luft zerriss, bevor er einen Tag im Amt war.

Herbert Prohaska, der erfolgreichste Teamchef aller Zeiten, der in sechs Jahren Amtszeit eine Qualifikation überstand – für die WM 1998, in der es zu zwei Unentschieden und einer Niederlage kam – meinte in Österreichs größter Tageszeitung, dem Kleinformat „Kronen Zeitung“, dass es „bei uns“ genügend Trainer dieser Art gäbe. Er verweist außerdem auf Andreas Herzog, der sicherlich einen guten Job als Teamchef machen könne, und nennt als Beweis die Arbeit von Dietmar Kühbauer, der als Trainer von Admira Wacker Mödling gerade als Aufsteiger sensationell auf dem ersten Tabellenplatz steht. Außerdem kritisierte Prohaska die Tatsache, dass Koller die letzten beiden Jahre arbeitslos war und sich vermutlich nicht viel mit dem österreichischen Fußball beschäftigt hat.

Prohaska hat Recht: Trainer gibt es in Österreich wirklich viele. Aber auch Trainer wie Marcel Koller, der als Spieler sieben Mal Meister, fünf mal Cupsieger wurden, an der EM 1996 in England teilnahmen, für die sich Österreich nicht qualifizierte, insgesamt 55 Länderspiele absolvierten, als Trainer mit zwei verschiedenen Mannschaften Meister wurden und sechs Jahre als Trainer in Deutschland arbeiteten? Die Tatsache, dass Koller zwei Jahre arbeitslos war, stimmt vielleicht, wenn er auch bestimmt nicht beschäftigungslos gewesen ist. Er hospitierte bei anderen Trainern, bildete sich fort und lernte Sprachen. Und viele Trainer auf der Kandidatenliste des ÖFB haben sich vermutlich noch nie mit dem österreichischen Fußball auseinandergesetzt – Lars Lagerbäck zum Beispiel. Dem hätte Prohaska das freilich verziehen.

Kurt Jara meldete sich zu Wort, er habe als Trainer im Ausland mehr erreicht als Koller. Das Anforderungsprofil hätte genau auf ihn zugetroffen – und er zeigte sich enttäuscht, dass kein „Kapazunder“ gekommen sei, sondern ein No-Name.

Für Jara sicherlich eine Enttäuschung, dass ein „No-Name“ ihm vorgezogen wurde. Allerdings – wer ist denn Kurt Jara? Seine letzten relevanten Stationen waren der HSV, Kaiserslautern und Red Bull Salzburg – bei beiden deutschen Bundesligisten wurde er wegen Erfolgslosigkeit entlassen, bei Kaiserslautern war er Gegenstand von Fanprotesten, und bei Red Bull Salzburg war er in der ersten Saison des Vereins tätig, wurde zweiter und aufgrund von „Ungereimtheiten bei Transfers“ entlassen. Seit dieser Entlassung – im Frühling 2006 – prozessiert Jara gegen Red Bull.

Auch Frenkie Schinkels hatte medienwirksam etwas zu sagen, auch er wies darauf hin, dass Koller unbekannt sei. „Koller“ sei „kein Name“. „Mit Bochum spielte er meist gegen den Abstieg.“ Er bekannte außerdem, dass er hätte lieber Franco Foda, Kurt Jara oder Andreas Herzog gesehen hätte.

Der weltbekannte Frenkie Schinkels, der als Analytiker eine erfreuliche und amüsante Alternative zum eher nicht eloquenten und telegenen Manfred Zsak darstellt, der sich während der WM 2010 zur Empörung vieler in Alltagsrassismus übte (über Koman Coulibaly, FIFA-Schiedsrichter: „Es ist traurig genug, dass ein Mann aus Mali so ein Spiel pfeift ... dort wird sicher ein ganz anderer Fußball gespielt“) und in der „Trottel-Causa“ mit Franz Wohlfahrt verwickelt war (ÖFB-Pressekonferenz vor dem Deutschland-Match), vergisst dabei aber, dass der ÖFB mit bekannten Namen nicht besonders gut gefahren ist. Nach der EM 2008, für die sich Österreich dank der Wild Card als Veranstalter qualifizierte, hatte Josef Hickersberger keine Lust mehr, sich mit den Querschüssen von sogenannten Experten auseinanderzusetzen, und ließ sich lieber in der Wüste viel Geld bezahlen. Als Nachfolger präsentierte der damalige ÖFB Präsident Stickler freudenstrahlend die tschechische Trainerlegende Karel Brückner, und versprach, dass es keinerlei Sprach- oder Kommunikationsschwierigkeiten geben werde. Trotzdem wurde eine Woche später Ján Kocian
als Co-Trainer und Dolmetscher verpflichtet. Brückner zog auch nicht nach Wien, sah sein Büro im Ernst-Happel-Stadion kaum von innen und beobachtete Spieler fast ausschließlich per DVD und so gut wie nie persönlich. Er ließ sich auf wahnwitzige Experimente ein und brachte Jimmy Hoffer im rechten Mittelfeld, und nach der anfänglichen Euphorie, ausgelöst durch ein Unentschieden gegen Weltmeister Italien und einen Sieg gegen Frankreich, folgten Klatschen gegen Serbien oder blamable Spiele auf den Färöer-Inseln (1-1). Constantini folgte nach, und hier schließt sich wieder der Unglückskreis.

Man darf nicht vergessen, dass unter Hickersberger penibel und professionell gearbeitet wurde. Die Ergebnisse blieben aus – doch eine Entwicklung war vorhanden. Roger Spry wurde als Fitnesstrainer verpflichtet, der die Spieler mit persönlichen Trainingsplänen ausstattete – doch leider hielten die Wenigsten sich daran. Voraussetzung für eine Vertragsverlängerung mit Hickersberger wäre auch Roger Spry gewesen – Spry blieb, Hickersberger ging und Brückner fing mit dem renommierten Fitnesstrainer nichts an. Ein Jammer, da hat man einen Fachmann auf seinem Gebiet in seinen Reihen, und niemand will davon profitieren.

Koller ist als Arbeitsbiene bekannt – und genau das braucht der ÖFB. Am 6.10. postete Koller auf seiner facebook-Seite zwei Videos: auf einem ist er zu sehen, wie er das U21 Match Österreichs gegen die Niederlande verfolgt, auf dem anderen bedankt er sich bei seinen 2000 facebook-Freunden für die Unterstützung und die aufmunternden Worte, die auf seiner Seite gepostet wurden. Viel Engagement für Koller, dessen Vertrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft war.

Denn nicht alle Fans des österreichischen Fußballs waren der Meinung der sogenannten Legenden oder ließen sich beeinflussen. Viele haben die „Freunderlwirtschaft“ im ÖFB satt und freuen sich, dass ein neuer, neutraler und außenstehender Fachmann kommt, der objektiv Probleme ansprechen kann und entsprechende Maßnahmen ergreifen kann.

Constantini reagierte verschnupft, als ein Journalist der Defensive Konzeptlosigkeit vorwarf, brach die Pressekonferenz ab. Es folgte die „Trottel-Causa“ - Zsak fragte Wohlfahrt, was mit „dem mit dem Kapperl“ sei, ob er „fett“ ist. Wohlfahrt antwortete mit „Trottel“. Wenige Tage später kassierte das Team sechs Gegentore. Das war die Führung des österreichischen Nationalteams, unprofessionell, dass es zum Himmel schreit – und mit Koller hat das hoffentlich ein Ende.

Doch mit der Bestellung Kollers alleine ist es nicht getan. Der ÖFB muss professioneller werden und jeder, der ein Amt im Fußballbund innehat, muss hinsichtlich seiner Tätigkeit für den internationalen Spitzenfussball hinterfragt werden. Die Strukturen des ÖFB müssen – wenn möglich nach Vorbild des DFB - modernisiert werden, und dafür muss auch das passende Personal her. Denn ob Alteingesessene, wie zum Beispiel Generaldirektor Alfred Ludwig, der bei der versuchten Einbürgerung von Rapid-Kapitän Steffen Hofmann mit den FIFA-Statuten durcheinandergekommen ist, solch eine Modernisierung mitmachen oder mitmachen können, ist zu bezweifeln.

Lippenbekenntnisse allein reichen da nicht aus. Die Jugend muss verstärkt gefördert werden. Möchte man mit den großen, deutschen Nachbarn in ernsthafte Konkurrenz treten, dann muss man anfangen, von ihnen zu lernen. Deutsche Bundes- und Zweitligisten müssen im Zuge des Lizenzierungsverfahrens ein Jugendleistungszentrum nachweisen – das bedeutet, dass die Jungendmannschaften drei Trainingsplätze, davon zwei mit Flutlicht, zur Verfügung haben müssen, sowie auch einen eigenen Trainerstab und medizinische Betreuung. In Österreich sind solche Bedingungen nur aus Gutdünken von Mäzenen entstanden – die Stronach Akademie in Hollabrunn, mittlerweile wieder eingestellt, weil Frank Stronach keine Lust mehr hatte, und die Red Bull Fußballakademie, ein Prestigeobjekt von Didi Mateschitz. Oder sie sind über Jahrzehnte gewachsen – Admira Wacker Mödling hat traditionell eine hervorragende Jugendarbeit, auch bedingt durch die günstige Lage am Bundessportzentrum in der Südstadt.

Doch es reicht nicht, wenn die Hälfte aller Bundesligisten hervorragende Bedingungen für Jugendmannschaften stellen. Es muss für jeden professionellen Fußballverein selbstverständlich sein, eine gut ausgebaute Jugendakademie zu haben, nach deutschem Vorbild. Natürlich ist es verständlich, wenn sich kleine Vereine wie Karpfenberg, Ried oder Mattersburg, die Mühe haben, den alltäglichen Spielbetrieb in der Bundesliga zu finanzieren und nebenbei noch konkurrenzfähig zu sein, solche Anlagen nicht leisten können – in dem Falle wäre es für österreichische Verhältnisse schon ausreichend, wenn es eine Fußballakademie pro Bundesland gäbe – gefördert vom ÖFB und eventuell von Vereinen, die sich in der Umgebung befinden und vom Nachwuchs profitieren können.

So bleibt zu hoffen, dass durch die Bestellung von Marcel Koller zum Teamchef in Österreich eine Initialzündung zu einer besseren Zukunft auslöst – denn in den letzten 33 Jahren seit dem Wunder von Cordoba hat sich nichts getan, außer, dass sich die sogenannten Legenden kollektiv auf die Schulter geklopft haben. Es wird nun Zeit für grundlegende Änderungen im österreichischen Fußball, um endlich konkurrenzfähig zu werden.


Lenny Dokalik, 07.10.2011