Freitag, 13. November 2015

"Spectre" und das Problem mit der Bond-Kontinuität

Spectre ist zweifellos kein schlechter Bond, es ist allerdings durchaus nachvollziehbar, wieso die Kritiken teilweise relativ schlecht sind.

Einerseits versucht Spectre, die letzten drei Bonds – also die drei Filme seit dem Reboot des Franchise mit Daniel Craig – zusammenzuführen, gleichzeitig aber, klassische Bond-Themen aus der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen – im Speziellen, indem man den Erzfeind Bonds aus den 70ern, Blofeld, wieder einzuführen versucht. Gleichzeitig wird aber mit der Kontinuität recht stümperhaft umgegangen.

Das Problem an der ganzen Sache ist meiner Meinung nach „Skyfall“. Kein schlechter Film, meiner Meinung nach allerdings keinesfalls so großartig, wie alle immer behaupten. Sicherlich visuell ein Wahnsinn, tolle Cinematographie, wunderschöne Bilder, allerdings ein an den Haaren herbeigezogener Plot und ein völlig lächerlicher dritter Akt. Während „Casino Royale“ und „Quantum“ im direkten Zusammenhang standen und einen gemeinsamen Antagonisten teilten, eine Verbrecherorganisation, in der Mr. White eine bestimmte Rolle spielte, war das dann in „Skyfall“ kein Thema mehr – hier wurden stattdessen neue Fronten eröffnet: Bonds Kindheit, Ms Vergangenheit wurden thematisiert, und die Sinnhaftigkeit von Spionen wie Bond allgemein in Frage gestellt. Das alles sollte nun unter einen Hut gebracht werden!

Zunächst einmal gab es während „Skyfall“ absolut keinen Hinweis darauf, dass Silva etwas mit White zu tun habe, oder es irgendeinen Zusammenhang mit den vorherigen Filmen gebe. In „Spectre“ wird das allerdings behauptet, und sogar Patrice, bisher eher als „Henchman“, also Killer eines Antagonisten erinnerlich, als wesentlicher Teil angegeben. Diese Art von Backtracking funktioniert nicht besonders gut, das war schon bei den „Star Wars“ – Prequels ein bisschen eine Katastrophe. Selbstverständlich sind zusammenhängende Trilogien gerade wahnsinnig in, weil Filmstudios gerne die Absicherung haben, dass sich das Publikum über Jahre hinweg einer Filmreihe verschreibt und brav sich alle Filme anschaut, nicht nur einen. Allerdings muss man diese dann auch im Vorhinein so schreiben, und nicht im Nachhinein versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen. Zu Skyfall komme ich später nochmals.

„Spectre“ ist jetzt prinzipiell nett, allerdings hat es das Autorenteam nicht wirklich geschafft, diese erzählerischen Zusammenhänge schlüssig zu machen. Die Drehbuchprobleme sind ohnehin legendär, seit Entwürfe davon geleakt sind und es auch einen entsprechende e-mail Konversation dazu gab. Zunächst wird versucht, Judy Dench als M nochmals aufzuwärmen, allerdings leider ohne Zusammenhang und Begründung. Tatsächlich verpufft wegen anhaltender Drehbuchprobleme die Tatsache, dass dieser Bond einer der bestbesetztesten überhaupt ist. Wieso muss Judy Dench wieder herhalten? Skyfall endet damit, dass der neue M, Ralph Finnes, Bond sagt, es sei viel zu tun. Könnte sich die Eröffnungssequenz von „Spectre“ nicht daran aufhängen? Man kann ja Bond immer noch suspendieren – politisches Bauernopfer wegen der Aufregung in Mexico, unverschuldet, und die Geschichte geht ganz normal weiter. Vorher noch Background-Info einfügen, warum Bond dem Typen in Mexico überhaupt nachstellt, und schon wirkt das Ganze nicht so an den Haaren herbeigezogen.

Einzig die Dialoge zwischen Q und 007 wirken witzig und inspiriert, Ben Wishaw und Craig könnte ich mir persönlich noch länger anschauen. Nicht mehr anschauen kann ich mir Actionsequenzen unter der Regie von Mendez – ehrlich gesagt fand ich die kurze Sequenz, in der Q aus der Seilbahn vor zwei Killern flieht weitaus spannender als die übertriebene und etwas lächerliche Flugzeug – Auto – Verfolgungsjagd auf der Skipiste. Sie erinnerte mich eher an die Taxiverfolgungsjagd durch Paris mit Roger Moore in „A View To A Kill“, allerdings fehlte die nötige Ironie, um das Ganze irgendwie funktionieren zu lassen.
Monica Belucci wirkte in dem Film total verschwendet, ebenso wie Christoph Waltz. Es machte außerdem alles einen recht gezwungenen Eindruck – die Autoren wollten offenbar wieder Blofeld, und sie wollten eine zusammenhängende Handlung, aber im Nachhinein alles zu einer großen Rahmenhandlung zusammen zu zwingen, funktioniert, wie gesagt, nicht gut. Blofeld erklärt Bond mehr oder weniger, dass er eifersüchtig ist, weil er keinen Halbbruder (Bond) wollte, weswegen er den Vater tötete, seinen eigenen Tod vortäuschte und in weiterer Folge alles dransetzte, Bonds Leben systematisch zur Hölle zu machen. Zumindest laut den eigenen Angaben. Er sei der Urheber von Bonds Schmerz, er sei der Mann, der alle seine Frauen getötet hatte und der Organisator hinter Le Chiffre, White, Greene und Silva.

Bei dieser Behauptung in einem Monolog bleibt es dann auch, und es geht weiter mit dem Plot, dass die Weltgeheimdienste zusammengelegt werden, um umfassende Sicherheit zu garantieren – aber Spectre steckt in Wahrheit dahinter. Abgesehen davon, dass es absolut lachhaft ist zu glauben, dass in irgendeiner Realität, in irgendeinem der unendlichen Paralleluniversen die Russen jemals mit den Briten und Amerikanern sich einen Geheimdienst teilen – egal. Zurück zur Behauptung Blofelds, er stecke hinter allem.
In Casino Royale und Quantum lasse ich mir das ja noch einreden. Mr. White tritt als Mittelsmann einer Organisation auf, die nie wirklich greifbar zu sein scheint, sogar den Leibwächter von M unter Kontrolle hat und via Dominic Greene sogar den Einfluss hat, ganze Weltregionen unter Kontrolle zu halten. Spectre? Warum nicht! Dieses diffuse Feindbild gefiel mir persönlich sehr gut, und ich weiß, dass alle Quantum hassen, ich halte ihn für einen großartigen Film. Marc Forster hat es halt mit dem Schnitt ein bisschen übertrieben, und er hat nicht den „Bond-Style“, aber wenn man sich den Film fünfmal anschaut und manche Szenen vielleicht in Zeitlupe, ergibt er wunderbaren Sinn.
Skyfall hingegen bietet zum ersten Mal seit Pierce Brosnan wieder einen klassischen Antagonisten, kein diffuses Netzwerk mit einem unklaren Feindbild, sondern den einen Hauptbösewichten, der sogar eine eigene Insel hat, ein bisschen wie in „Der Mann mit dem goldenen Colt“. Q ist wieder da, Moneypenny wird vorgestellt, am Ende gibt es wieder einen klassischen M in seinem altmodischen Büro, und der Film macht alles, um den Fans entgegenzurufen: „Hey, wir werden wieder klassisch!“ Keine Rede mehr von Quantum, keine Rede von Spectre, das Motiv Silvas war Rache gegen M, und es hat bei dem völlig an den Haaren herbeigezogenen Plot keinen einzigen Moment gegeben, an dem man dachte, es könnte sich jetzt um einen Teil eines größeren Plans handeln, in dem Spectre eine Rolle spielt.

Das also einfach ohne weitere Erklärung im nächsten Film zu behaupten, ist einfach schwach. Und das ist der Punkt, an dem es hakt bei „Spectre“. Man hätte „Skyfall“, auf den ohnehin alle total stehen, einfach in Ruhe lassen können und auf die ersten beiden Craig-Bonds hinweisen können, das hätte noch halbwegs funktioniert, aber unbedingt „Skyfall“ ins Schema pressen zu wollen, wo er doch gar nicht reinpasst, ist sehr unglücklich.
Das Problem an der ganzen Sache ist, dass „Skyfall“ der designierte „Jubiläums-Bond“ war. Das Franchise feierte seinen 50. Geburtstag, der finanzielle Aspekt (MGM Pleite) war überstanden, also wollte man alles ein bisschen klassischer und gab ihm sogar aus völlig unsinnigen Gründen den klassischen Aston Martin DB5 aus „Goldfinger“, was aus Kontinuitätsgründen komplett sinnlos war. „Skyfall“ ist also im Daniel Craig Bond-Canon „the odd one out“, der Unpassende. Man kann nicht die Kontinuität der Filme über den Berg hauen, weil man den Bond-Fanboys und Klassikfeteschisten etwas zum Jubeln geben will, und dann aber so tun, als wäre das alles ohnehin ganz normal. Oder man kann es tun, aber es dabei belassen, und nicht im Nachhinein behaupten, dass eh alles zusammengehört.

Aber gut, der Schaden ist angerichtet. Das Problem bei Bond ist nun einmal, dass man die Erwartungen erfüllen muss, ich erinnere an den Aufschrei bei Casino Royal mit „oh nein! Bond sagt, es ist egal, ob der Martini geschüttelt oder gerührt ist!!!!11!“ und Quantum mit „oh nein! Der Film ist so schnell geschnitten und Martini trinkt er auch gar keinen mehr!!einself!“ und Skyfall „OMFG Bond trinkt ein Heineken, das geht doch gar nicht!!11!!1!“, also stehen die Drehbuchautoren offenbar unter dem Zwang, eine Checkliste abzuarbeiten, was er alles machen muss – komme was wolle, und wenn das Resultat ein ziemliches Durcheinander ist, darf man sich nun einmal wirklich nicht wundern. Ich habe ehrlich gesagt kein Problem damit, wenn Bond ein bisschen mehr wie Bourne wird, ein bisschen realistischer und mit einem schlüssigen Plot. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass der Trend ohnehin mehr in Richtung Realismus geht. Bourne ist ein gutes Beispiel, aber auch Filme wie Gravity, in dem in jeder Hinsicht versucht wird, das Umfeld und die Geschichte so schlüssig wie möglich darstellen zu lassen, insbesondere war die physikalischen Gegebenheiten betrifft.

Und dann das Ende von Spectre. Ich glaube, ich war nicht der einzige, der etwas verwirrt war, als der Film endete. Bond hört auf? Wie soll das Franchise weitergehen? Und es geht zweifellos weiter, immerhin ist Bond eine eigene Industrie für sich. An sich ist Blofeld in die Reihe neu eingeführt, er lebt, Bond fährt mit der Frau im Aston Martin DB5 davon, den er sich vorher von Q abholt. Wieso kann Bond eigentlich im MI5 ein- und ausgehen und sich einfach Sachen holen, wenn er offenbar gar nicht sollte?
Ich habe das Script nicht gelesen, allerdings die Kollegen von „birthmoviesdeath.com“, und die geben an, dass Bond zuletzt zu Léa Seydoux sagt: „We have all the time in the world“. Wunderbar, damit ist das Rätsel gelöst, denn dieser Spruch steht immerhin auf Teresa Bonds Grabstein in „For Your Eyes Only“. Wir wissen also, das Franchise geht weiter, Blofeld wird irgendwie entkommen, sie töten (lassen), Rache Rache Rache, geil. Schade, dass der Satz entfernt wurde. Schade, dass Daniel Craig offenbar nicht mehr will. Schade, dass das Script Christoph Waltz so uninteressant machen ließ, dass sich die Frage stellt, ob er noch einmal Lust hat, den Blofeld zu geben. Hier endet die Geschichte an einem Punkt, in dem man vielleicht doch noch eine befriedigende Geschichte weiterspinnen könnte, allerdings wird es mit einem neuen Bond eher schwer. Also doch die Frage, wie es mit dem Franchise weitergeht.


Mein Rat an Barbara Broccoli: Lass Tarantino den 50er- Jahre schwarz-weiß Bond drehen, der im Vorfeld von „Casino Royale“ geplant war. Nehmen wir ein bisschen Abstand von der Sache und überlegen uns, wie es schlüssig weitergehen könnte. Und: Vielleicht machen wir ja zuerst ein Konzept für ein paar Filme, anstatt von Film zu Film vorzupreschen, und nachher dann versuchen, alle zu verbinden. Denn das endet nie besonders gut.